Krieg mit Worten

In den Wohnzimmern der Ukraine und Russlands wird gekämpft – um die Wahrheit. Denn der Krieg findet nicht nur an der Front in der Ostukraine statt, sondern in den Köpfen der Menschen, weit über das eigentliche Kriegsgebiet hinaus.

Von Mona Ruzicka

Den Medien in Russland, der Ukraine aber auch in Europa wird vorgeworfen, parteiisch zu berichten. Sie bilden die Realität nicht neutral ab, sondern entscheiden, welche Details der Bevölkerung gezeigt werden und was im Verborgenen bleibt.
„In einem Informationskrieg“, sagt Mihai Varga, Wissenschaftler und Osteuropa-Experte an der Freien Universität Berlin, „wird bewusst und strategisch mit Nachrichten gekämpft, um die Legitimität der anderen Seite zu unterminieren.“ Medien verlieren ihre Neutralität und beziehen Position oder werden direkt von der Regierung beeinflusst. Durch ihre Berichterstattung legitimieren sie die Entscheidungen der Mächtigen. Das geschieht zum Beispiel, wenn die gegnerische Seite als brutal oder unmenschlich dargestellt wird. Dann scheint jedes Mittel recht, um die Gegner zu bekämpfen.

Die Wortwahl spielt eine große Rolle, wie die Bevölkerung die andere Seite wahrnimmt. „Es war in den Medien sehr früh die Rede von einem Genozid der russischsprachigen Bevölkerung – etwas, das nie stattgefunden hat“, sagt Varga über die Berichterstattung seitens Russland. Auch die ukrainischen Politiker sprachen über pro-russische Ukrainer von „Vaterlandsverrätern“, während in Russland pro-ukrainische Bewegungen als „Faschisten“ beschimpft werden. Die Medien griffen diese Sprache auf und trugen das Feindbild in die Bevölkerung.

Feindbild Journalist
Für Journalisten ist die Berichterstattung in der Ukraine eine extrem schwierige Situation. Viele ukrainische Reporter waren plötzlich mit einer Kriegssituation konfrontiert, für die sie keine Ausbildung hatten. Auf der Rangliste der Pressefreiheit ist die Ukraine auf Platz 107, Russland auf Platz 148 von 180. Die Arbeit der Journalisten wird von gewalttätigen Gruppen behindert, auch ausländische Korrespondenten sind davon betroffen. In beiden Ländern müssen kritische Journalisten mit Überfällen und Repression auch seitens der Regierung rechnen.

In Russland ist die freie Presse besonders eingeschränkt. Nachrichtensender wurden verstaatlicht oder von regierungsnahen Unternehmen übernommen. Kritische Journalisten wurden verhaftet oder sind Anschlägen ausgesetzt. Die Regierung investiert viel, um die Stimmung in der Bevölkerung auf eine Linie mit ihren Interessen zu bringen. Osteuropa-Experte Varga würde im Falle Russlands von einem Informationskrieg sprechen. Die Lage in der Ukraine ist ebenfalls schwierig. „Bei den ukrainischen Medien ist weniger von strategischer Zielsetzung die Rede, und viel mehr von Überzeugung, dass ‚die Anderen‘ nur Lügen verbreiten und entsprechend behandelt werden müssen. Das macht das Ganze nicht einfacher.“

Fehlendes Vertrauen in Berichterstattung
Nicht nur den Medien in der Ukraine und in Russland wird vorgeworfen, parteiisch zu sein. Laut einer Umfrage Ende 2014, als die Ukraine-Krise gerade die Medien dominierte, vertrauen 63 Prozent der Befragten den deutschen Medien nicht bei ihrer Berichterstattung über den Konflikt. Den westlichen Medien wurde sehr häufig vorgeworfen, sie würden systematisch pro-ukrainisch berichten und Stimmung gegen Russland machen. Varga hält diesen Vorwurf für unberechtigt: „Gerade in Deutschland gibt es viele Medien, die nicht nur die russische, sondern auch die ukrainische Regierung kritisieren.“ Außerdem würden viele deutsche Medien den problematischen Umgang der Regierung mit Oppositionellen oder Randgruppen thematisieren.

Neben klassischen Medien spielten im Ukrainekonflikt vor allem soziale Medien eine entscheidende Rolle. Im Netz prallen Meinungen ungefiltert aufeinander. Die Kommentarspalten deutscher und internationaler Medien glichen einem Schlachtfeld. Nutzer verbreiteten ihre eigene Version und Interpretation der Ereignisse. Im Gegensatz zu den Journalisten müssen sie ihre Aussagen nicht belegen – nur besonders provokant formulieren, um viele Likes und Klicks zu bekommen.
Auch Varga schätzt, dass die sozialen Medien einen ebenso großen Einfluss haben wie etablierte Medien – und das ist gefährlich. „Die Verbreitung von falschen Informationen über soziale Medien ist kaum überschaubar. Die Auswirkungen sind viel schneller zu spüren als im Falle der Mainstream-Medien.“ Während den Medien oft misstraut wird, scheinen Menschen im Internet vieles zu glauben, was in ihr eigenes Weltbild passt. Dabei rückt die Wahrheit immer weiter in die Ferne und der Hass auf die gegnerische Seite nimmt überhand.

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=Ojs6vE1VVdU?rel=0&w=560&h=315]

Entlarvung von Falschmeldungen
Ein bisschen Licht ins Dunkle bringen möchte die ukrainische Initiative stopfake.org. Bei diesem Projekt versuchen ukrainische Journalisten Nachrichten und Bilder aus Russland zu verifizieren. Bislang haben sie über 400 Falschnachrichten entlarvt. Darunter sind viele Bilder, die mit Bildbearbeitungsprogrammen manipuliert wurden. In weiteren Fällen wurde Videomaterial aus anderen Kriegsgebieten der Ostukraine zugeschrieben. Durch Aufklärung möchten die Aktivisten dem negativen Bild der Ukraine, das in Russland verbreitet wird, entgegenwirken. Außerdem ist die Website eine wichtige Quelle für ausländische Journalisten, fügt Varga hinzu. Es sei jedoch wünschenswert, dass auch die ukrainische Berichterstattung überprüft wird.

Die eine Wahrheit – es gibt sie nicht. Wie in jedem Konflikt gibt es eine Vielzahl an Perspektiven und Interpretationsmöglichkeiten, geleitet von den unterschiedlichsten Absichten. Diese gilt es nachzuprüfen, zu belegen und kritisch zu hinterfragen.

Linkempfehlungen

Rückblick auf die Entwicklung der Medien in der Ukraine – zwei Jahre nach dem Euromaidan (Bundeszentrale für politische Bildung, 10.02.2016)

Über Wahrheit und Lüge im russischen Sinne (FAZ, 10.03.2014)

Der Kreml lügt besser (Spiegel Online, 24.04.2014)

Mit Festnahmen und „Internetsoldaten“ gegen Russland (Süddeutsche Zeitung, 26.02.2015)

Foto

Fotojournalist am 18. Februar 2014 auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew
(Quelle: Mstyslav Chernov, CC BY SA 3.0, Wikimedia)